
Löw, Andrea: Deportiert
»Immer mit einem Fuß im Grab«. Erfahrungen deutscher Juden. [Eine kollektive Erzählung auf Basis Hunderter Zeugnisse]. Die erste große, vielstimmige Erzählung über die Erfahrungen der Jüdinnen und Juden, die während des Nationalsozialismus aus dem Deutschen Reich ins besetzte Osteuropa deportiert wurden: Auf Basis Hunderter Briefe, Postkarten, Tagebücher, Video-Aufzeichnungen und vieler weiterer Quellen verwebt die Historikerin Andrea Löw die individuellen Geschichten zu einem erschütternden Zeugnis. Ein Zeugnis, das umso wichtiger ist, als die letzten überlebenden Opfer der Shoah bald nicht mehr selbst erzählen können. Ab Herbst 1941 wurden die im Deutschen Reich verbliebenen Jüdinnen und Juden systematisch "nach Osten" deportiert. Der Deportationsbefehl war unerbittlich - ein Koffer war erlaubt, es blieb kaum Zeit, um alles zu regeln und Abschied zu nehmen. Dann wurden die Menschen aus ihrem bisherigen Leben gerissen. Wer konnte, schrieb Briefe an Verwandte, in denen sie ihnen und sich selbst Mut machen, aber auch ihre Sorgen und Ängste thematisieren. Auch während des Transports, in den Ghettos und den Lagern schrieben die Menschen Briefe und Postkarten, es sind Tagebücher und Chroniken überliefert, die in der Situation selbst entstanden sind - das macht diese Zeugnisse so unmittelbar. Aus den Stimmen der einzelnen Menschen komponiert Andrea Löw eine Erzählung, deren Lektüre die ganze Ungeheuerlichkeit des Verbrechens emotional bewusst macht. Indem sie selbst zu Wort kommen, werden die Menschen sichtbar - als Mütter, Kinder, Großeltern, als Liebende, als Junge und Alte. Sie schildern ihre Ängste und Hoffnungen, die Stationen bis zur Abreise, den Transport, das Überleben im Ghetto. Die meisten erwartete am Ziel der sichere Tod, die Überlebenden berichten von Gefangenschaft, Flucht und Rettung. Sie alle waren Menschen, die Unfassbares erleben mussten - dieses Buch bringt sie uns ganz nah, mit all ihrem Mut und ihrem Leid. Wer wissen möchte, was sich hinter den Namen und Orten auf den vielen Stolpersteinen in deutschen Städten verbirgt, findet die Geschichten der Menschen in diesem Buch. Aus Berlin und Hamburg, Leipzig und München, Dresden, Stuttgart, Köln, Hannover, Wien, Breslau oder Stettin und vielen anderen Orten. - Malte Grünkorn in H-Soz-Kult (11.9.24): »Es gelingt Andrea Löw, die individuellen Erfahrungen von verfolgten, verschleppten und ermordeten Juden und Jüdinnen darzustellen, und diese wiederum in eine kollektive Erzählung der Deportationserfahrung deutscher Jüdinnen und Juden zu verweben. Dadurch ist die Lektüre insgesamt durch die erzählerische Nähe zu den monströsen Verbrechen, welche die Menschen erlitten haben, emotional so herausfordernd wie eine wissenschaftlich spannende Auseinandersetzung mit diesem zentralen Aspekt der Shoah. [...] Löw gelingt es, die Geschichte der aus dem Reichsgebiet deportierten Jüdinnen und Juden auf nur 286 Seiten konzise, zugänglich und erfahrungsdicht zu erzählen. Dementsprechend ist der Eindruck, dass eine Leser:innenschaft über die Fachwissenschaft hinaus anvisiert wurde. Für wissenschaftliche Leser:innen ist vermutlich der durch die Lektüre erworbene Überblick über die Art und Inhalte der überlieferten Selbstzeugnisse besonders gewinnbringend. Diese würden vielleicht mitunter eine systematischer vergleichende Darstellungsweise bevorzugen - aber dieses Buch ist eben auch dezidiert kein umfassendes Nachschlagewerk, sondern gekonnt erzählte Geschichte. An der Thematik Interessierte werden jedenfalls an diesem Buch nicht vorbeikommen«. - 364 Seiten mit 21 Abb., gebunden (S. Fischer Verlag 2024) Mängelexemplarstempel auf Schnitt, leichte Lagerspuren