
Dohrn, Verena: Die Kahans aus Baku
Eine Familienbiographie. Die Geschichte einer jüdischen Unternehmerfamilie in turbulenten Zeiten: zwischen Zwangsmigration und erfolgreichem Unternehmergeist. - Die Geschicke der Kahans spiegeln ein dramatisches Jahrhundert europäischer Geschichte aus dem Blickwinkel einer jüdischen Unternehmerfamilie. In Konkurrenz zu Nobel und in Kooperation mit Rothschild machte Chaim Kahan (1850-1916), der aus einem polnisch-litauischen Stetl stammte, sein Vermögen auf den Ölfeldern von Baku. Der Erste Weltkrieg zerriss die Familie, und die Herrschaft der Bolschewiki zerstörte das Milieu, das ihm zu Wohlstand verholfen hatte. In diesen unbeständigen Zeiten erbten die sieben Kinder seine Unternehmen. Sie flohen nach Berlin, gründeten erneut Firmen, wurden global player im Ölgeschäft und konterkarierten damit das Stereotyp vom armen Ostjuden. Sie betrieben Tankstellennetze und bewiesen Unternehmergeist in einer innovativen Branche von strategischer Bedeutung. Dazu waren sie philanthropisch tätig, halfen Flüchtlingen, retteten Verlage und engagierten sich für die jüdische Heimstatt in Palästina. Als die Nazis an die Macht kamen, floh die Familie, die transnational gut vernetzt war, noch einmal - von Berlin nach Paris, von dort nach Tel Aviv und New York. Abermals bewährten sich in der Not Traditionsbewusstsein und Familiensinn. Verena Dohrn erzählt die Geschichte der Kahans basierend auf Quellen aus privaten und staatlichen Archiven: Die Familienbiographie stützt sich vor allem auf die Archive der Nachkommen mit einigen Tausend Briefen sowie zahlreichen privaten und amtlichen Dokumenten aus den Jahren 1876 bis 1970 in fünf Sprachen. Quellen aus staatlichen Archiven in zwölf europäischen Ländern, in den USA und Israel ergänzen diese Dokumente ebenso wie schriftliche und mündliche Familienerzählungen, Interviews und Gespräche mit den Nachkommen. Es entsteht ein Familienporträt, das einen zeitlich wie geographisch imposanten Bogen spannt und in dem sich das 20. Jahrhundert aus einer außergewöhnlichen Perspektive spiegelt. Im Fokus der Biographie stehen drei Generationen, ein Sample von etwa dreißig Personen, sie wird jedoch aus der Perspektive von nur wenigen Protagonisten erzählt. Die historischen Hauptakteure sind der Firmengründer Chaim Kahan und seine Söhne Aron und David als Unternehmer in der Ölwirtschaft sowie Bendet als Verleger. Die Schwiegertochter Sina, geborene Golodetz, spielt eine Rolle, da sie nach dem Tod ihres Mannes die beiden Schwäger - Aron und David - im Wettbewerb um ihre Zuneigung jahrelang gegeneinander aufbrachte. Der erste Schwiegersohn, der in den religiösen Schriften gelehrte Lebemann Jonas Rosenberg, figuriert als Gegenspieler zu den erfolgreichen Unternehmern, Chaim Kahan und dessen Söhnen. Die Konflikte, die aus dieser Konstellation entstanden, zeigten sich noch in der nächsten Generation. In Gestalt von Chaims Enkeln Jacob Kahan und Rosa Rosenberg verdichtet sich die Geschichte, denn Cousin und Cousine verbanden durch Heirat die Geschicke von zwei Zweigfamilien und bewahrten die Hinterlassenschaften, auf denen diese Biographie im Wesentlichen beruht. Jacobs jüngster Bruder Arusja machte von sich reden, da er seine lange Flucht aus Sowjetrussland dokumentierte und, in Berlin angekommen, Bruder, Cousin und Cousine zur Rebellion gegen die beiden Onkel und Unternehmensführer aufrief. Die anderen Protagonisten erscheinen als Nebenakteure. 2. Auflage. 519 Seiten mit 31 Tafeln, gebunden (Wallstein Verlag 2018) leichte Lagerspuren