
Meiser, Katharina: Fliehendes Begreifen
Hugo von Hofmannsthals Auseinandersetzung mit der Moderne. Hellsichtig beobachtete Hugo von Hofmannsthal die gesellschaftlichen Veränderungen seiner Zeit - und wollte daraus Konsequenzen ziehen: für das 'positionslose' Individuum genauso wie für den 'marginalisierten' Künstler und die 'seelenlose' Gesellschaft. Vor dem Hintergrund eines gesellschaftsgeschichtlichen Modernebegriffs rekonstruiert die Arbeit seine Auseinandersetzung mit diesen drei Themenkomplexen. Hermeneutische Analysen sowohl prominenter als auch weniger bekannter Dramentexte, Essays und Reden bieten einen repräsentativen Querschnitt vom 'Tod des Tizian' bis zur Rede 'Das Schrifttum als geistiger Raum der Nation'. In Summe zeigen sie systematisch, dass Offenheit, Ambivalenz und Heterogenität als Strukturmerkmale des Hofmannsthalschen Werks Folge seines gedanklichen Ringens mit Grundfragen der modernen Gesellschaft sind. Sein Oszillieren zwischen Anerkennung der Moderne und dem Wunsch nach ihrer Revision lässt eine fixe Stellungnahme nicht zu. Seine Positionierungsoptionen für Individuum, Künstler und Gesellschaft sind vorläufig und fragil. In der Untersuchung wird davon ausgegangen, dass Offenheit, Heterogenität und Ambivalenz einer inneren Logik der ständigen Suchbewegung nach in der Moderne lebbaren Ich- und Gesellschaftskonzepten folgen. Hofmannsthal folgt demnach kohärenten Fragestellungen, aus deren Sicht die heterogenen und widersprüchlichen Antwortmodelle dann ihrerseits Kohärenz gewinnen. Dies im Einzelnen zeigen zu können, legt die Studie den Fokus auf detaillierte Einzeltextanalysen, die die Form- und Sinnstrukturen der Texte als Konsequenz der spezifisch Hofmannsthalschen Beantwortungsversuche von Fragen erklärbar machen, die sich ihm im Zuge des Modernisierungsprozesses stellten. Kurzum: es wird eine modernisierungstheoretische Perspektivierung des Hofmannsthalschen Werks am Beispiel einer Relektüre einzelner Texte aus verschiedenen Werkphasen vorgenommen. Die Untersuchung erfolgt in drei Kapitel: 1. Hofmannsthals Individualitäts- und Orientierungsfragen; 2. »Wer will uns sagen, ob wir Künstler sind?« Fragen des modenen Dichters; 3. Hofmannsthals Fragen gesellschaftlicher Einheitsbildung: Auf der Suche nach dem »Seelenmittelpunkt« der Nation. 425 Seiten, gebunden (Beiträge zur neueren Literaturgeschichte; Band 322/Universitätsverlag Winter 2014)