
Vom Verkehr mit Dichtern und Gespenstern
Figuren der Autorschaft in der Briefkultur. Hrsg. von Jochen Strobel. Seit der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts entwickelt sich der Privatbrief zu einem Medium der Intimität. 15 Beiträge fragen nach der Persistenz von Figuren der Autorschaft in der Briefkultur des 18. bis 20. Jahrhunderts. - "Die leichte Möglichkeit des Briefeschreibens muß - bloß theoretisch angesehn - eine schreckliche Zerrüttung der Seelen in die Welt gebracht haben. Es ist ja ein Verkehr mit Gespenstern und zwar nicht nur mit dem Gespenst des Adressaten, sondern auch mit dem eigenen Gespenst, das sich einem unter der Hand in dem Brief, den man schreibt, entwickelt." Diese berühmte medienkritische Invektive aus einem Brief Kafkas an Milena steht am Ende einer zwei Jahrhunderte überdauernden Kultur, doch noch der manische Briefschreiber Kafka partizipiert an einem Kult des Briefs, der diesem einen halböffentlichen Platz am Rande der Literatur, oft als deren Variante oder als ihr Kommentar, zuweist und zur Konstitution oder Infragestellung von Autorschaft beiträgt. Fallstudien zu Autoren von Gellert bis Benn weisen dies am Schicksal von Einzelbriefen oder Korrespondenzen nach und rekonstruieren Praktiken des Schreibens und Zirkulierens von Briefen, des Archivierens, Edierens und weiterer Verwertungsstrategien, die mitunter aus einem rasch hingeworfenen Billett ein Zeugnis auktorialen Nachruhms werden ließen. - Aus dem Inhalt: Jochen Strobel: Vom Verkehr mit Dichtern und Gespenstern. Figuren der Autorschaft in der Briefkultur. - Robert Vellusig: Gellert, der Husar, ein Brief und seine Geschichte. Briefkultur und Autorschaft im 18. Jahrhundert. - Barbara Becker-Cantarino: Autorschaft. Zum Briefwechsel von Sophie von La Roche und Christoph Martin Wieland. - York-Gothart Mix: Der gefeierte, kritisierte und vernichtete Autor. Gottfried August Bürger und die semiöffentliche Kommunikation über Sexualität und Erotik. - Jochen Strobel: Genealogie eines Archivromans. Die Korrespondenz Goethe / Zelter, oder: Was ist ein Briefautor? - Kerstin Stüssel: "Werk" und Friktion: Der Briefwechsel zwischen Friedrich Schiller und Christian Gottfried Körner. - Wolfgang Bunzel: Schrift und Leben. Formen der Subversion von Autorschaft in der weiblichen Briefkultur um 1800. - Rainer Baasner: Adalbert Stifters Selbstdarstellung als Dichter in seinen Briefen. - Maria Zens: "Noblesse oblige". Kommentare zur Position des Autors im literarischen Feld. Ein Beitrag zu Pierre Bourdieus Kulturtheorie und Wilhelm Raabes Korrespondenz. - Jochen Strobel: Peter Gasts Gaben an Nietzsche. Heinrich Köselitz als Korrespondent, Mitarbeiter und Editor Friedrich Nietzsches. - Michael Neumann: Sendung und Lektüre. Epistolare Denkfiguren in Texten Franz Kafkas. - Barbara Hahn: Buch im Brief. Brief im Buch. Franz Rosenzweig schreibt an Margrit Rosenstock Huessy. - Julia Schöll: Bilaterale Gespräche. Zum Briefwechsel zwischen Agnes E. Meyer und Thomas Mann. - Ulrich Fröschle: "Ich vermisse zwei Convolute Deiner Briefe". Zu den Briefen und 'Briefjournalen' der Brüder Jünger. - Jenny Krätzschmar: Orpheus' Briefe reloaded. Zu "Hernach. Gottfried Benns Briefe an Ursula Ziebarth". - 365 Seiten, gebunden (Beiträge zur neueren Literaturgeschichte. [Folge 3]; Band 229/Universitätsverlag Winter 2006)