
Spedicato, Eugenio: Kompensation und Kontingenz in deutschsprachiger Literatur
Die Persistenz von Denkschemata und narrativen Praktiken der "permanenten Theodizee" (Bohrer) und der "Kompensation" (Marquard) ist in der deutschsprachigen Literatur seit Leibniz und den literarischen Theodizeen bis hin zu den Holocaust-Romanen der Gegenwart ein zentrales Phänomen, das in der Forschung noch keine Gesamtdarstellung gefunden hat. Der starken 'Doktrin des Guten', die in all diesen literarischen Kompensationsmustern uneingeschränkt waltet, steht aber eine vergleichsweise seltenere Kontingenz-Ästhetik gegenüber, die das Aleatorische und Bedrohliche, das Böse und die Apokalypse, ja auch die Notwendigkeit einer Lebensakrobatik zumeist ohne Entlastungen und Beschwichtigungen privilegiert. Bedeutet "Kompensation" in der Alltagswelt etwa Zwischenlösung, ist sie in der Literatur doch nur eine sublime Form von Verrat an der schönen Unbestimmtheit. Diesem Gesamtkomplex sind die in dem Buch enthaltenen Studien gewidmet. - Aus dem Inhalt: Einführung. -- Teil I: Kompensation: 1. Die 'große Kette' des Bösen im späten 18. Jahrhundert mit besonderem Bezug auf Jean Paul. - 2. Desavouierungen der Zufälligkeit nach der Theodizee. - 3. Kunst als Ausgleich zu Wirklichkeit und Historie in Friedrich Schillers philosophisch-ästhetischen Schriften. - 4. Eigenverantwortlichkeit contra Gefügigkeit in Jeremias Gotthelfs "Die schwarze Spinne", Friedrich Dürrenmatts "Der Besuch der alten Dame" und Lars von Triers "DOGVILLE". - 5. Das Prinzip Grausamkeit als Auslöser kompensatorischer Fiktionen bei Robert Musil, Stefan Zweig, Friedrich Dürrenmatt und Edgar Hilsenrath. - 6. Verklärungen im Exil: Ödön von Horvath, Joseph Roth und Stefan Zweig. - 7. Die barmherzige Lüge in Jurek Beckers "Jakob der Lügner". - 8. Der 'gute' deutsche Kolonialsoldat in Uwe Timms "Morenga". - 9. Die Wiedergeburt des 'guten' Deutschen in Bernhard Schlinks "Der Vorleser. -- Teil II: Kontingenz: 10. Zufälligkeit als Attribut des Schönen in Friedrich Schillers "Über Anmut und Würde. - 11. Das große Drama der Wandelbarkeit im "Wallenstein". - 12. Kontingenz in den Dramen Heinrich von Kleists. - 13. Das Abwendbare im Unverfugbaren. Katastrophenbilder in Johann Wolfgang Goethes "Die Wahlverwandtschaften" und Dieter Wellershoffs "Der Liebeswunsch". - 14. Der "Möglichkeitssinn" in Robert Musils "Der Mann ohne Eigenschaften". - 15. Der Kontingenz-Gedanke und die Universalien Wahrheit, Freiheit und Gerechtigkeit bei Friedrich Dürrenmatt. - 16. Selbstauflösung und Zerreißproben der Kontingenz bei Dieter Wellershoff. - 17. Depersonalisation in Gerhard Roths "Der große Horizont" und "Winterreise". - Ausblick. - 243 Seiten, gebunden (Beiträge zur Literaturtheorie und Wissenspoetik; Band 8/Universitätsverlag Winter 2016)