
Erdogan, Julia Gül: Avantgarde der Computernutzung
Hackerkulturen der Bundesrepublik und DDR. Die schillernden Vorreiter des Informationszeitalters: Hacker im Spiegel der deutsch-deutschen Zeit- und Technikgeschichte. Hacker und Haecksen zählen zur Avantgarde der Computerisierung. Seit den späten 1970er-Jahren bildeten sie sich in der Bundesrepublik und in der DDR zu eigensinnigen ComputernutzerInnen mit einschlägigem Wissen heraus. Sie eigneten sich das Medium spielerisch an, schufen Kontakträume und brachten sich so aktiv in den Prozess der Computerisierung ein. Durch ihre Grenzüberschreitungen zeigten sie dabei Chancen und Risiken der Digitalisierung auf. Julia Gül Erdogan geht der Entstehung der Hackerkulturen in Ost- und Westdeutschland nach. Sie analysiert, wie deren teils subversive Praktiken Machtgefüge in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft herausforderten. Zugleich verdeutlicht die Arbeit Gemeinsamkeiten und Unterschiede der frühen sub- und gegenkulturellen Computernutzung in den beiden deutschen Teilstaaten. Eine deutsch-deutsche Geschichte der Hackerkulturen bietet die Gelegenheit, die Aneignung der neuen Technologie vergleichend in systemübergreifender Perspektive zu untersuchen und einen Beitrag zur Kultur-, Sozial- und Technikgeschichte beider Staaten zu liefern. Trotz teilweise grenzübergreifender Computernetzwerke gab der nationale Rahmen mit seinen Gesetzen, seiner Infrastruktur und durch die Verfügbarkeit von Technologien Handlungsräume und Beschränkungen vor. Ein Vergleich zeigt die Gemeinsamkeiten und Unterschiede verschiedener Hackerkulturen und die Rahmenbedingungen ihrer Entstehung und Entwicklung auf, denn diese Kulturen entwickelten sich sowohl aus regionalen und lokalen kulturellen Praktiken wie auch durch grenzübergreifende Verflechtungen von Ereignissen, den Austausch von Gütern und die Interaktion zwischen AkteurInnen. Dabei sollen in der Studie über die deutsch-deutsche Geschichte hinausgehend immer wieder internationale Verflechtungen aufgezeigt werden. Die Forschungsarbeit geht mit vier zentralen Thesen der Frage nach, welche Rolle den Hackern als AmateurInnen der neuen Technologie im Prozess der frühen privaten Computerisierung zukam. Erstens schufen Hacker Räume, um mit Computern in Kontakt zu kommen, und hierdurch begründeten sie Gemeinschaften, deren Selbstbild einer alternativen Lebensweise durch die Vergemeinschaftung gestärkt wurde. Insofern soll herausgestellt werden, wie Hacker zu einer raumschaffenden Instanz der Computerisierung wurden, die sowohl Kontaktzonen mit der neuen Technologie ermöglichten als auch zweitens Handlungsräume für die Computernutzung aufzeigten und ausgestalteten. Damit einher ging, dass Hacker sich in dem Spannungsfeld des Computers zwischen rationalem Werkzeug und Unterhaltungsmedium befanden. Hacker vermochten es, die Computer, die durchaus als langweilige, entmenschlichende oder rationale Maschine aufgefasst wurden, mit einer unterhaltsamen und kreativen Nutzung zu verbinden. Drittens trugen Hacker in zweierlei Weise zur Auseinandersetzung mit Datenschutz und -sicherheit bei - einerseits indem sie durch ihr Handeln Sicherheitslücken verdeutlichten und selbst zum Objekt von Abwehrhandlungen wurden, andererseits indem sie sich in der Bundesrepublik aktiv in die Debatten zu Datenschutz und Privatsphäre einbrachten und diese Themen in besonderem Maße besetzten. Viertens wird in dieser Studie die These verfolgt, dass der spielerisch-explorative Umgang der Hackerkulturen mit der neuen Technologie ein zentrales Moment der Computerisierung darstellte, weil hierdurch Risiken, Chancen und Einsatzmöglichkeiten der Computer ausgetestet und erfahrbar gemacht werden konnten. 392 Seiten mit 5 Abb., gebunden (Geschichte der Gegenwart; Band 24/Wallstein Verlag 2021) leichte Lagerspuren