
Harding, Elizabeth: Der Gelehrte im Haus
Ehe, Familie und Haushalt in der Standeskultur der frühneuzeitlichen Universität Helmstedt. "Insgesamt gelingt es der Autorin, die großen Entwicklungslinien im Helmstedter Gelehrtenstand vom Reformationsjahrhundert bis zum Zeitalter der Aufklärung aufzuzeigen. Die Veränderungen im Kontext von Haushalt, Familie und Ehe, die hier untersucht wurden, waren von den Existenzbedingungen der Gelehrten abhängig. Besondere wirtschaftliche Privilegien der Universitätsangehörigen förderten die Erwerbswirtschaft bis mit dem Wandel zum Konsumentenhaushalt der Rückzug der Gelehrten in ihre häuslichen Studierstuben und Bibliotheken stattfand. Auch das Verständnis von Ehe und Familie war einer Entwicklung unterworfen, die sich vom protestantischen Ehe- und christlichen Hausväterideal zu einem Dasein in eheloser Weltabgewandtheit vollzog" (Theresa Schmatz in sehepunkte 15, 2015). - Galt infolge der Reformation die Ehe als Ideal für Professoren an protestantischen Universitäten, so trat im 18. Jahrhundert an die Stelle dieses Selbstentwurfs ein neues Gelehrtenbild, zu dem vor allem die wiederentdeckte Leitidee des allein lebenden Professors gehörte. Elizabeth Harding untersucht am Beispiel der Universität Helmstedt das dynamische Verhältnis von Universität und Familienleben im Hinblick auf die Funktionen, die es für die Professorenschaft erfüllte. Dabei wird die These verfolgt, dass die Themenbereiche Ehe, Familie und Haushalt zentral für das Selbst- und Fremdverständnis der Universitätsprofessoren waren. Das Buch bietet einen tiefen Einblick in die häusliche Ordnung, die wirtschaftlichen Verhältnisse, den Umgang mit Ehe und Sexualität sowie die Selbstdarstellung in Text und Bild. - Ausgehend von dem populären Bildmotiv des Gelehrten bei der Arbeit in seiner Studierstube verfolgt die Studie einen praxeologischen Ansatz und fragt nach der Selbst- und Fremddarstellung der Gelehrten im Hinblick auf deren ordnungsstiftende Rolle innerhalb der ständischen Gesellschaft. Konkret geht es dabei um die Geschichte der frühneuzeitlichen Professoren im Kontext des häuslichen Geschehens in einer Universitätsstadt. Untersucht werden also nicht nur das Gelehrtenleben in der Studierstube und diesbezügliche Repräsentationsstrategien dieser Personengruppe, sondern auch die sich dynamisch wandelnden Praktiken der Professoren inmitten und am Rande der Wohn- und Arbeitsräume im Zeitraum vom 16. bis zum 18. Jahrhundert. Neben ihrem hohen Bekanntheitsgrad ist die Helmstedter Hochschule als Untersuchungsgegenstand deshalb interessant, weil sie von einem protestantischen Herzoghaus mit klarer konfessionspolitischer Zielrichtung geführt wurde, was auch das häusliche Geschehen betraf. Ausgewertet wurden neben dem archivalischen Bestand der Universität Helmstedt auch Leichenpredigten, Bestattungsprogramme und Ratgeberliteratur. Die Studie konturiert so den Umgang mit der Familie als Ausdruck von gelehrten Lebensweisen und eröffnet damit zugleich eine neue Perspektive auf die Wissenschaftsgeschichte. 388 Seiten mit 17 Tafeln und 9 Tabellen, gebunden (Wolfenbütteler Forschungen; Band 139/Herzog August Bibliothek in Kommission bei Harrassowitz Verlag 2014) leichte Lagerspuren