Hochkirchen, Eva-Maria: Präsenz des Singvogels im Minnesang und in der Trouvèrepoesie
Auf welche Art und Weise bestimmt der Vogel das Verhältnis von Klang und Sinn in der mittelalterlichen Lyrik? Ausgehend von der Hypothese, dass der Vogel als literarisches Motiv eine ästhetische Funktion einnimmt, wird im Band ergründet, ob er etwa als Sinnbild für die Dichtung im Allgemeinen, als Symbol für den Sänger oder als Seismograph verschiedenster Aspekte im Kontext von Lyrik und ihrer Performanz im 12. und 13. Jahrhundert steht. Kein Motiv der hochmittelalterlichen Liebespoesie spiegelt deren Gesanglichkeit so direkt wie das des Vogels - insbesondere das des Singvogels. Die Sänger vergleichen sich mit Singvögeln aller Arten; sie messen sich mit ihnen oder imitieren sie bis hin zur Preisgabe menschensprachlicher Semantik. Dies zeigend sucht die Arbeit den in den letzten Jahrzehnten so vielschichtig umkreisten mediävistischen Themenkomplex der 'Aufführung' sehr konkret zu fassen, selbst wenn es um komplexe Konzepte wie die 'Präsenz' der Lieder oder deren 'Performativität' geht. Die kultur- und literaturwissenschaftlichen Debatten werden musikwissenschaftlich fundiert und die verschiedensten Funktionsfacetten des Vogelmotivs anhand ihrer erläutert. So zeigen sich die Lieder der Minnesänger und Trouvères ganz neu im vielfältigen Spektrum ihres erklingenden Klangs. Das Ziel ist keine strikte Synopse des Vogelmotivs in zwei Literaturen, sondern eine nationalliterarisch übergreifende Analyse, die sich aufgrund der auf fruchtbarem Austausch beruhenden stilistischen Verwandtschaft deutscher und französischer Lieder des hohen Mittelalters anbietet. Romanistik und Germanistik im Forschungsbereich der Minnesänger- und Trouvèremusik zusammen zu fassen, wird immer wieder angeregt und vorgemacht. Es geht hierbei inzwischen nicht mehr vor allem darum, den Einfluss französischer Lyrik auf die deutschen Minnesänger herauszuarbeiten, sondern ein europäischeres Verständnis von Literatur in ihren Wechselwirkungen zu erwecken. Dem Band ist eine Audio-CD beigegeben, auf der renommierte Musiker der Alten Musik Erkenntnisse der Analyse praktisch umsetzen. 17 Titel mit einer Gesamtspielzeit von 46:15 ergänzen die theoretischen Ausführungen zum Vogelmotiv um deren praktische Ausgestaltung. Mittelalter-Musiker Maria Jonas (Gesang) und Dominik Schneider (Flöte, Quinterne, Portativ) sowie Cora Schmeiser (Stimme in vielen Dimensionen) ließen sich vom Impetus dieses Projekts anstecken und gestalten ein buntes Laute-Potpourri von Mensch- und Vogelstimmen. 345 Seiten mit 13 Abb. sowie eine Audio-CD als Beilage, gebunden (Beiträge zur älteren Literaturgeschichte/Universitätsverlag Winter 2015)












